YourStyle Herbst 2022

38 | YOUR STYLE by PFAFF YOUR STYLE by PFAFF | 39 GIBT UPCYCLI NG IN DER MODE BALD DEN TON AN? ... sagt Upcyclerin Sinah Schlemmer. 2020 gründet sie ein eigenes Label. Jetzt will die Mode-Designerin mit ihren ausgefallenen Outfits die Luxusbranche vom Upcycling überzeugen. as denkst du, wenn du Teenies siehst, die tüten- weise Billigklamotten shoppen? Ich finde es total unnötig. Mode ist viel zu billig. Dabei geht es nicht nur um CO2-Ausstoß, die Verschmutzung der Meere durch das Färben der Textilien oder den Wasserverbrauch beim Baumwoll- anbau. Am Ende geben wir die Klamotten weg und produzieren auch noch Müll. Es ist eine Umweltkatastrophe, die absolut vermieden werden kann. Die Frage ist doch: Brauchen wir wirklich Billigkleidung? Jeder will CO2 einsparen. Aber warum fangen wir eigentlich nicht erst mal bei der Mode an? Nach einer aktuellen McKinsey-Studie stößt die Modeindustrie jährlich genauso so viel CO2 aus wie die gesamte Wirtschaft von Groß- britannien, Deutschland und Frankreich zu- sammen. In Sachen Umweltverschmutzung liegt die Modebranche nach der Ölindustrie auf Platz zwei. Wenn wir hier einsparen, haben wir sehr viel gewonnen. Du bist ausgebildete Bühnentänzerin, hast in Kapstadt und Seattle gelebt und später Modedesign studiert. Mit deinem eigenen Label Amaran Creative kreierst du heute nachhaltige Mode. Mein Ziel war nicht, die Welt zu retten, indem ich ein Öko-Brand kreiere. Das ist eher aus einem kreativen Moment entstan- den. Während des Modedesign-Studiums mussten wir Probestücke anfertigen, die nach der Bewertung nicht mehr gebraucht wurden. Statt jedes Mal neuen Stoff zu kaufen, schnappte ich mir zum Beispiel ein altes Bettlaken und nähte daraus mein Probestück. Die Ergebnisse waren immer total schön. Das hat mich fasziniert. Ich habe dann 2014 mit dem Upcycling ange- fangen. Damals war das noch kein großes Thema. Ich hätte nie gedacht, dass sich das mal so stark entwickelt. Das Gute am Upcycling ist eben, dass Stoffe verwendet werden, die sowieso schon produziert sind. Das ist sogar ökologischer als Biobaumwol- le, denn die muss ja auch wieder ressour- cenintensiv produziert werden. Deine Mode ist also ein politisches Statement? Ja, ich möchte mit meiner Mode zur De- batte beitragen und inspirieren, weil es so nicht weitergehen kann. Allerdings finde ich auch, dass man beim Thema Nachhal- tigkeit nicht immer nur mit Beschränkun- gen und Verboten kommen sollte. Da hat doch keiner Lust drauf. Das ist das schlech- teste Marketing der Welt. Stattdessen muss man den Benefit aufzeigen und mit der Attraktivität einer Sache überzeugen. Umweltsünder in die Ecke zu stellen, ist eine Katastrophe. Damit kommen wir kei- nen Schritt weiter. So werden wir nie die Masse erreichen, um etwas zu verändern. Im Gegenteil. Wie machst du den Leuten Upcycling- Mode also schmackhaft? Ich sage den Leuten nicht „hey, ich bin sooo nachhaltig“. Ich möchte lieber mit attraktiver Fashion überzeugen, die man genauso gut auf der Fashion Week sehen könnte. Qualitativ hochwertig, ausgefallen und kreativ. Ein interessanter und cooler Look, das ist der Benefit. Das Upcycling ist dann ein nachhaltiger Side-Effekt … Lass uns ehrlich sein: Warum kaufen wir Kleider? Weil es schön ist. Ich sehe etwas und überlege mir, wie ich darin aussehe und dann fühle ich mich toll. Das ist doch genau das, was in den Köpfen von Frauen vorgeht. Und nicht: Ich muss nachhaltige Bioklamotten shoppen. Mode muss Spaß machen. Das ist ein Lebensgefühl, ein krea- tiver Ausdruck. Wir wollen doch jetzt nicht alle nur noch Biobaumwollhemden tragen im Einheitslook, mit denen wir uns nicht mehr individuell ausdrücken können. Manche Billigläden nehmen getragene Kleidung zurück, um sie zu recyceln … Das ist meistens Greenwashing. Gerade die Billigläden verkaufen viele Mischstoffe, die aus Polyester und Baumwolle oder anderen Materialien bestehen. Diese Stoffe können nicht mehr in ihre Ausgangsrohstoffe zurückversetzt werden. Außer vielleicht mit exorbitantem Energieaufwand. Und damit ist ja niemandem geholfen. Also lieber einen großen Bogen um die Billiglabels machen? Es wird nicht funktionieren, die Verantwor- tung dem Verbraucher zu überlassen. Solange das Angebot da ist, wird es auch gekauft. Was schlägst du vor? Die großen Firmen halten noch immer an ihrem alten Businessmodell fest. Ein klassisches kapitalistisches System, das mit großen Gewinnmargen über Jahre super funktioniert hat. Sie müssen eigentlich alle ihr komplettes Geschäftsmodell ändern. Regional produzieren, alles kleiner und teurer machen und Second Hand-Ware an- bieten und wiederverwenden, zum Beispiel durch Upcycling. Wir stellen massenweise Billig- kleidung her, verbrauchen dafür unendlich viele Ressourcen, ver- schmutzen die Umwelt und transportieren das Ganze auf Schiffen, die mit Schweröl angetrieben werden – und dann kommt es nach ein paarmal Anziehen weg — das ist doch ein Wahnsinn ... » « W Wo kriegst du deine Stoffe her? Weil es sich mittlerweile herumgespro- chen hat, klingeln viele Leute bei mir und bringen mir alte Klamotten oder schicken sie mir zu. Teilweise gibt es da ganz emotionale Stories. Eine ältere Dame brachte mir zum Beispiel die Krawatten- sammlung ihres verstorbenen Mannes. Daraus habe ich eine ganze Kollektion entworfen, die sehr erfolgreich ist. Dich lockt die Luxusbranche … Mein Traum ist, dass ich einen richtigen Modetrend auslöse und dadurch auch eine Veränderung hervorrufe. Ich wün- sche mir, dass Frauen sagen: So ein Teil will ich auch. Ich denke, dass man nur so die Masse für umweltfreundlichere Mode begeistern kann: indem man einen Trend auslöst. Und da sind auch Promis, Politiker*innen und sonstige Menschen mit Einfluss gefragt mitzumachen und ihre Vorbildfunktion zu nutzen. Upcycling und Luxus – bisher waren das Gegensätze … Das ist jetzt anders. Sogar Balenciaga und andere Luxus-Labels sind ins Upcyc- ling eingestiegen, während die Billig- ketten leider noch weit davon entfernt sind. Die Luxusbrands haben aufgrund der riesigen unverkauften Lagerbestände während der Pandemie – es handelt sich um Milliardensummen – erkannt, wie groß die Verschwendung ist und wollen dem enormen Rückstau an Kleidung mit Nach- haltigkeit begegnen. Interview: Ariane Lindemann »ALTE STOFFE – NEUER WALD« Haute Couture aus ehemaligen Lieblingsstücken »Warum kaufen wir Kleider? Weil es schön ist. Ich sehe etwas und überlege mir, wie ich darin aussehe und dann fühle ich mich toll.« www.amarancreative.com Im Gespräch mit Upcyclerin Sinah Schlemmer Fotos: Alea Horst Foto: Johanna Link Photography

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